Das Messie-Syndrom – Wenn Chaos das Leben regiert

Müllberge, Zimmer voller Unrat, kaum passierbare Zimmer, lagerähnliche Überfrachtung der Wohnung – für die meisten ein unerträglicher Zustand, für viele aber ganz alltäglich. In Deutschland sind etwa 1,8 Millionen Menschen vom Messie-Syndrom betroffen. Das Messie-Syndrom beruht auf ernsthaften seelischen Störungen und ist bisher noch weitgehend unerforscht.

Das Zuhause gleicht mitunter einer Höhle. Berge aus Kartons, vollgestopfte Tüten, alte Zeitschriften und Rechnungen, dreckiges Geschirr, Töpfe und Putzmittel. Die Berge reichen bis an die Decke. Andere Wohnungen wirken wie ein Lager: Enge Labyrinthe führen durch Unmengen an Dingen. Dingen, die für sich brauchbar und gut sind, in der Menge aber kaum Platz zum Leben lassen. Küche, Toilette und Bett sind nicht nutzbar, weil die wichtigen Dinge sich auch dort stapeln. Um zu erfahren, wie ein ehemaliger Betroffener mit Messie-Syndrom gelebt hat und wie er heute mit Hilfe des ambulanten Wohntrainings des H-TEAM e.V. mit seinen Desorganisationstendenzen zurechtkommt, lesen Sie in diesem Interview!

Faulheit, Krankheit oder Sucht?

Auf den ersten Blick sehen vermüllte, verwahrloste oder extrem überfrachtete Wohnungen gleich aus. Auf den zweiten Blick unterscheiden sich aber und spiegeln individuelles Leid. In diesen Wohnungen leben Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen und Problemen. Die äußere Unordnung drückt das Chaos in ihrem Inneren aus. Messies können sich und ihre private Sphäre Wohnung nicht (mehr) selbst organisieren. Tätigkeiten im Haushalt wie Abspülen, Aufräumen oder Wäsche waschen sind durch vermeintlich unüberwindbare Hürden blockiert. Für andere Menschen oder am Arbeitsplatz können sie hingegen oftmals gut „funktionieren“. Für Außenstehende ist das schwer zu verstehen und so geraten Betroffene in ernste Erklärungsnöte bzw. meiden dies und es verstärkt sich die soziale Isolation. Das Messie-Syndrom geht oft einher mit Depressionen, Suchtstrukturen, Angst- und Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen und Traumatisierungen. Das Messie-Syndrom ist bisher kein eigenständiges Krankheitsbild und leider immer noch viel zu wenig erforscht.

 



Wortschöpfung

Der Begriff „Messie“ (von engl. mess: Unordnung, Durcheinander) wurde von der selbst betroffenen US-amerikanischen Pädagogin Sandra Felton geprägt. Messies sind demnach Personen mit Desorganisationsproblemen. Hinsichtlich der Schwere gibt es jedoch eine große Bandbreite – von Unordentlichkeit bis hin zu extremer Vermüllung.

Sammler mit und ohne Trennungsschmerz

Den typischen Messie gibt es nicht, das Problem der Desorganisation betrifft alle sozialen Schichten, Einkommens- und Altersklassen.

Aktive Sammler hängen an dem, was sie angehäuft haben. Für sie löst allein die Vorstellung, sich von Dingen trennen zu müssen, Panik aus. Sie horten Lebensmittel, Verbrauchsartikel und aufgetragene Kleidung „für den Notfall“. Der angesammelte „Vorrat“ gibt ihnen Sicherheit. Es gibt verschiedene Formen des aktiven Sammelns, die kaum in Reinform zu finden sind. Manche sehen sich als Jäger und Sammler, andere sehen sich nicht als Sammler, können sich jedoch nicht von Dingen trennen und bei anderen geht es um das Festhalten an Erinnerungen.

Passive Sammler haben in der Regel keinen Trennungsschmerz. Sie können, aufgrund von Krankheit, Sucht oder psychischen Erkrankungen, alltägliche Aufgaben nicht allein bewältigen. Putzen, Aufräumen und Entsorgen bleiben auf der Strecke.

Hilfe für Menschen mit Messie-Syndrom in München

Viele Betroffene lehnen es zunächst ab, Hilfe anzunehmen, die ihre Wohnsituation verändert. Erst wenn ihnen die Kündigung ihrer eigenen vier Wände droht, kommen sie auf das Angebot zurück. Die meisten Betroffenen schämen sich für die chaotischen Zustände in ihrem Zuhause. Das Ziel des H-TEAM e.V. ist es, allen Messies in München ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen zu erhalten.

n.

Interview mit Wedigo von Wedel zum Thema Messie Syndrom mit der Mittelbayerischen Zeitung vom Nov.2020